Neues Urteil zu Werkstattrisiko, Prognoserisiko und Kosten für Probefahrten und Corona-Desinfektionsmaßnahmen

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Sehr geehrte Leser,

folgende Ausführungen und das zugehörige Urteil wurde uns freundlicherweise von der  Rechtsanwaltskanzlei Michael Brand (Fachanwalt für Verkehrsrecht – www.RABrand.de) zur Verfügung gestellt.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei finden Sie ein aktuelles Urteil des AG München zur Thematik Werkstattrisiko/Prognoserisiko und Angemessenheit geltend gemachter Kosten für die Probefahrt (99,95 € netto) sowie Corona-Desinfektionsmaßnahmen etc. (59,97 € netto). Das Urteil haben Kollegen aus der renommierten Kanzlei Dr. Mielchen in Hamburg erstritten.

Da der Gegenstandswert die Berufungsschwelle von 600 € nicht erreicht, wird das Urteil alsbald in Rechtskraft erwachsen und kann nicht mehr vom Versicherer angegriffen werden.

Inhaltlich interessant ist die aus hiesiger Sicht völlig stringente, wenn auch mehr als umfassend dargelegte Argumentationslinie des Gerichts dahingehend, dass im hiesigen Verfahren des Unfallgeschädigten gegenüber dem erstattungspflichtigen Schädiger bzw. dessen Versicherer dessen Einwände, wonach hier angeblich überhöhte Rechnungspositionen vorliegen, nicht durchzugreifen vermögen. Daher erfolgte auch eine Verurteilung in voller Höhe, dies allerdings Zug-um-Zug gegen Abtretung sämtlicher eventueller Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis des Geschädigten mit der Werkstatt zum Zwecke der nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung in einem weiteren Verfahren des Schädigers / Versicherers gegenüber dem Werkstattbetrieb.

Ob das sodann evtl. befasste Gericht aus dem dann zum Tragen kommenden Blickwinkel einer konkreten Überprüfung der Angemessenheit der angesetzten Rechnungspositionen ebenso zusprechend entscheiden wird, lässt sich nicht gesichert prognostizieren.

Derzeit betreiben derartige Verfahren aber nach hiesigem Kenntnisstand lediglich wenige Versicherer wie z. B. der LVM oder auch die Barmenia. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend fortsetzen wird oder nicht.

In der Sache selbst jedoch zeigt sich wieder einmal, wie wichtig die richtige prozessuale Vorgehensweise, hier also einklagen eventueller Kürzungspositionen auf eine konkrete Reparaturrechnung durch den Geschädigten selbst und nicht etwa aus abgetretenem Recht durch die Werkstatt ist. In dieser Konstellation (Klage aus abgetretenem Recht) ist zwar grundsätzlich ebenfalls aus der Sicht des Geschädigten zu urteilen, dies wird jedoch bedauerlicherweise häufig von den Gerichten verkannt und auf den Horizont des klagenden Werkstattbetriebs abgestellt. Dies sollte naturgemäß vermieden werden.

Das Urteil ist im Übrigen ein wunderbares Beispiel für eine umfangreiche und zielführende Herleitung des für den Geschädigten auch weiterhin geltenden Anspruchs auf vollen Ausgleich eines für ihn nicht auf den ersten Blick (z. B. aufgrund Abweichung von weit mehr als 50 % zum ursprünglichen Gutachten o.ä.) ersichtlich überhöhten Rechnungsbetrages. Das sogenannte Werkstatt-bzw. Prognoserisiko trägt auch weiterhin alleine der Schädiger, respektive dessen Haftpflichtversicherer und muss daher in voller Höhe laut Rechnung Schadenersatz leisten. Selbst eine volle Zahlung des Rechnungsbetrags durch den Geschädigten vor Klageeinreichung sieht das Gericht (erfreulicherweise) nicht als zwingende Voraussetzung an.

Ob der Versicherer sich nachfolgend mit seinen vermeintlichen Argumenten hinsichtlich der Kürzungen tatsächlich in einen eigenen Rechtsstreit mit dem Werkstattbetrieb stürzen wird, ist grds. mehr als fraglich.

 

Amtsgericht München

Az.: 311 C 19975/20

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Mielchen & Coll, Osterbekstraße 90 C, 22083 Hamburg

gegen

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

wegen Schadensersatz

erlässt das Amtsgericht München durch die Richterin Dirnberger am 18.022021 aufgrund des Sachstands vom 12.02.2021 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgen­des

Endurteil

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 159,92 € zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche des Klägers auf Schadloshaltung aufgrund der Fahrzeuginstandsetzung zu Rechnungsnummer 214553471, Rechnung vom 17.07.2020.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 159,92 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb die­ses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Gegenstand des Rechtsstreits sind restliche Reparaturkosten für die unfallbedingte Instandset­zung des Klägerfahrzeugs nach dem diesem  Rechtsstreit  zugrunde liegenden Verkehrsunfall vom 13.06.2020, bei welchem das Fahrzeug des vorsteuerabzugsberechtigtem Klägers mit dem amtlichen  Kennzeichen (im Folgenden: Klägerfahrzeug), durch ein zum Unfallzeit- punkt bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen beschädigt wurde. Der Unfallhergang und die Haftung der beklagten Partei zu 100 % für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall stand zwischen den Parteien nicht in Streit. Streitig waren allein restliche Reparaturkosten in Höhe von 159,92 €.

Unstreitig hatte der Kläger zunächst ein Schadensgutachten zur Ermittlung der voraussichtlichen Reparaturkosten eingeholt. Das als Anl. K1 vorgelegte Gutachten des vom 17.06.2020 weist Nettoreparaturkosten i.H.v. 3.384,42 € aus. So d hat der Kläger unstreitig das beim Unfall beschädigte Fahrzeug reparieren lassen durch die

Hierfür wurden dem Kläger netto Reparaturkosten i.H.v. 3.435,98 € in Rechnung gestellt. Die Klagepartei rechnet den Fahrzeugschaden konkret auf der Basis dieser als Anlage K 2 zur Akte gereichten Reparaturrechnung ab. Die Beklagtenpartei hatte vorgericht­lich auf die Schadensersatzposition Reparaturkosten einen Betrag von 3.276,06 € reguliert. Die Differenz i.H.v. 159,92 € ist alleiniger Gegenstand der Klage.

Offensichtlich wurde der Reparaturkostenbetrag gemäß Rechnung bisher nicht vollständig von der Klägerin beglichen. Die Beklagtenpartei hat mit Klageerwiderungsschrift bestritten, dass die in Rechnung gestellten Beträge durch den Kläger vollständig bezahlt wurden. Dem trat die Klagepartei inhaltlich nicht entgegen, sondern bekräftigte vielmehr unter Bezugnahme auf zahlreiche Rechtsprechungszitate ihre Rechtsauffassung, dass es für die Anwendung der subjektbezoge­nen Schadensbetrachtung bzw. des sog. Werkstattrisikos zu Gunsten des Klägers nicht darauf ankomme, ob die Reparaturrechnung tatsächlich beglichen wurde.

Die Beklagtenpartei macht mit Klageerwiderungsschrift Einwendungen gegenüber der Höhe der von der Klagepartei vorgelegten Reparaturrechnung geltend, insbesondere hinsichtlich der Kos­tenpositionen „Probefahrt“ i.H.v. 99,95 €sowie „Corona Schutzmaßnahmen“ i.H.v. 59,97 €, in Ad­dition 159,92 €.

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang mit der Maßgabe begründet, dass hier eine Verurteilung zur Zahlung Zug um Zug gegen Abtretung von Ansprüchen des Klägers auf Schadloshaltung ge­gen die die Reparatur ausführende Werkstatt auszusprechen war.

1.

Die Klagepartei hat gegen die Beklagte als Haftpflichtversichererin des unfallgegnerischen Fahr­zeugs einen weiteren Anspruch auf Schadensersatz für restliche Reparaturkosten in Höhe von 159,92 € aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls §§ 115 Abs. 1 S. 1 WG, 1 PflVG

i.V.m. §§ 7, 18 StVG.

Insbesondere stehen der Klagepartei die vollen aus der Anlage K2 hervorgehenden, ihr von der Werkstatt in Rechnung gestellten Kosten für die Fahrzeuginstandsetzung in Höhe von netto 3.435,98 € zu,  wobei zwischen den Parteien der Umfang der vorgerichtlichen Regulierung (auf die Schadensersatzpositionen Reparaturkosten) und damit die Höhe des noch nicht regulierten Differenzbetrages unstreitig war.

Entscheidungserheblich ist allein, ob die in der Klageerwiderungsschrift vom 07.01.2021 genann­ten konkreten Abzugspositionen, die Probefahrt sowie die Kosten für Covid 19 – Schutzmaßnah­men (Desinfektionsmaßnahmen), erstattungsfähig sind. Das Gericht erachtet die geltend ge­machten Abzüge insgesamt als unberechtigt bzw. umgekehrt den sich aus der Anlage K2 erge­benden Rechnungsbetrag als vollumfänglich erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB zu einer Schadensbehebung durch Fahrzeugreparatur.

Die Einwände der Beklagtenpartei gegenüber der klägerseits vorgelegten Reparaturrechnung greifen im Ergebnis nach Auffassung· des Gerichts nicht durch. Für die Klagepartei streitet hier das sog. Werkstatt- bzw. Prognoserisiko.

Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei den genannten Positionen um erforderliche Reparaturmaßnahmen handelt. Vor diesem Hintergrund war eine weitere Beweiserhebung zur Erforderlichkeit dieser in der Rechnung enthaltenen Positionen, na­mentlich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, nicht veranlasst. Der Schädiger trägt das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB. ,,Bei der Instandsetzung eines beschädigten Kraftfahr­zeugs schuldet der Schädiger als Herstellungsaufwand nach § 249 S. 2 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt in­

folge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat; die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten“ (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73; Leitsatz).

Der BGH führte weiter aus (a.a.0.): ,,Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass seinen Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadenregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat; auch diese Grenzen bestimmen das mit, was „erforderlich“ ist. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 S. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschä­digte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis – sei es aus materiell-rechtlichen Gründen, etwa gar in Anwendung des § 278 BGB, oder aufgrund der Be­weislastverteilung – im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen d.er Schadenbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadenbeseitigung in einer fremden,  vom Geschädigten,  wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das „Werkstattrisiko“ abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 S. 1 BGB überlassen wür­de. Die dem Geschädigten durch § 249 S. 2 BGB gewährte Ersetzungsbefugnis ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf ihn. Ebenso wenig ist eine Belastung mit diesem Risiko deshalb angezeigt, weil der Geschädigte für das Verschulden von Hilfspersonen bei Erfüllung sei­ner Obliegenheiten zur Schadenminderung nach § 254 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 278 BGB einstehen müsste. In den Fällen des § 249 S. 2 BGB, in denen es lediglich um die Bewertung des „erforder­lichen“ Herstellungsaufwandes geht, ist die Vorschrift des § 254 BGB ohnehin nur sinngemäß an­wendbar[…]“.

Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welcher ansonsten einen Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen wür­de. Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. (so BGH, a.a.O.) Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (AG München, Urteil vom 06.07.2015, Az. 335 C 26842/14).

Vorliegend wurde konkret abgerechnet. Die Klagepartei ließ das Fahrzeug nach Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens und auf der Basis dieses Gutachtens in einer Fachwerk­ statt reparieren. Sie durfte damit die von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Betrag für erforderlich halten. ,,Diese tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten unangemessen sind.“ (so Landgericht Mün­chen 1, Urteil vom 30.11.2015, Az.19 O 14528/12).

Diese Risikoverteilung ist im Ergebnis auch gerechtfertigt, da der Geschädigte ohne das Unfallge­schehen auch keinem Werkstattrisiko ausgesetzt wäre. Sofern die Beklagte der Auffassung ist, die Werkstattrechnung sei ungerechtfertigt überhöht, so mag sie im Rahmen der austenorierten Zug-um-Zug-Verurteilung Gebrauch machen von der Möglichkeit, die reparaturausführende Werk­ statt wegen einer geltend gemachten Überhöhung in Anspruch zu  nehmen. In diesem Fall kann sie selbst einen Prozess gegen die Werkstatt führen und trägt dann zu Recht das Risiko hinsicht­lich des Ausganges des Prozesses. Dieses Prozessrisiko dem Geschädigten aufzubürden wäre ungerechtfertigt, da er ohne Unfallgeschehen einem solchen Prozessrisiko gerade nicht ausge­setzt wäre.

Vorliegend sind zudem nach Auffassung des angerufenen Gerichts die Abweichungen der tatsächlichen Reparaturen im Verhältnis zum Gesamtbetrag nicht so wesentlich, dass hier auch für einen Laien sofort eine nicht nachvollziehbare Überhöhung erkennbar wäre.

Soweit sich die Beklagtenpartei hinsichtlich der Kostenposition „Probefahrt“ darauf beruft, es handele sich insoweit nicht um eine entgeltpflichtigen Tätigkeit der Reparaturwerkstatt, welche primär der Selbstkontrolle der Werkstatt diene und insoweit nicht gesondert in Rechnung gestellt werden dürfe, ist für das Gericht nicht erkennbar, dass dies auch die Geschädigte hier konkret hätte wissen bzw.. erkennen können. Das Gericht folgt nicht der Argumentation der Beklagtenpar­tei, dass sich „dem Kläger hätte erschließen müssen, dass ein Betrag in Höhe von 100,00 € für eine Probefahrt nicht angemessen ist“. Dem Gericht ist vielmehr aus einer Vielzahl von Verfahren

bekannt, dass derartige Kosten im Rahmen von Fahrzeuginstandsetzungen regelmäßig in Rech­nung gestellt werden.

Auch aus der inhaltlichen Natur der Abzüge, soweit sie die „Corona-Kosten“ betreffen, ergibt sich hier nichts anderes, insbesondere unter dem beklagtenseits geltend gemachten Gesichts­ punkt der Adäquanz. Denn auch vom Standpunkt eines wirtschaftlich vernünftigen Betrachters aus drängt es sich aus Sicht des Gerichts als nachgerade selbstverständlich auf, dass der Mehr­ Aufwand für eine im Interesse des Infektionsschutzes erfolgende Desinfektionsmaßnahme und die hiermit verbundenen Kosten von einer Kfz-Werkstatt, die als gewinnorientiertes Unternehmen betrieben wird, an den Kunden weitergegeben werden. Die zum Zeitpunkt des streitgegenständli­chen Verkehrsunfalls bzw. der entsprechenden Fahrzeuginstandsetzung gegebene Pande­mie-Situation ist eine Tatsache. Es ist allgemein bekannt, dass Desinfektionsmaßnahmen bei in Betracht kommenden Kontaktflächen zur Vermeidung einer Schmierinfektion von politischer und wissenschaftlicher Seite aus Gründen der Versorge empfohlen werden und wurden. Die von der Beklagtenpartei in ihren Schriftsätzen angestellten differenzierten Überlegungen nach der Höhe eines möglichen Infektionsrisikos sind nach Auffassung des angerufenen Gerichts weder dem Kläger als Geschädigtem noch der reparaturausführenden Werkstatt zuzumuten. Es ist allge­mein bekannt, dass in nahezu sämtlichen Wirtschaftsbereichen erheblicher Zusatzaufwand im Interesse des Infektionsschutzes zur Eindämmung der Corona-Pandemie sachgerecht betrieben wird: Ärzte und sogar Friseure stellen einen Sonderaufwand bzw. dahinterstehende Kosten für lnfektionsschutzmaßnahmen in Rechnung. Warum ausgerechnet im Bereich der Kfz-lnstandsetzung eine andere Betrachtung gerechtfertigt sein sollte und diese Kosten im allgemeinen Lebens­risiko zugeordnet werden sollten, erschließt sich dem angerufenen Gericht nicht. Dem Risiko ei­ner Schmierinfektion durch Berührung potenziell kontaminierter Flächen im Rahmen der Fahr­zeuginstandsetzung wäre schlicht und ergreifend weder der Geschädigte noch die Reparatur ausführende Werkstatt ohne die Notwendigkeit der Instandsetzung, also den streitgegenständli­chen Verkehrsunfall, ausgesetzt gewesen.

Die Desinfektionsmaßnahmen erfolgen auch nicht nur zum Schutz der Mitarbeiter der Reparatur­werkstatt, sondern gerade auch zum Schutz des Geschädigten, der sein Fahrzeug zur Reparatur gibt und in der aktuellen Situation berechtigt erwarten kann, dass dieses anschließend desinfiziert wird. Dies gilt unabhängig von etwaigen ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarungen, wie sie die Beklagtenseite bemängelt. Vielmehr sind COVID-19-Schutzmaßnahmen derzeit als selbstver­ständliche Leistung der Reparaturwerkstatt im Wege der Auslegung von dem Reparaturauftrag erfasst.

Die Desinfektion ist zur Überzeugung des Gerichts auch erforderlich im engeren Sinne.

Es kommt gerade nicht – wie die Beklagte meint – darauf an, dass eine konkrete Kontamination vorlag und bekannt war. Vielmehr ist die Desinfektion als Schutzmaßnahme standardmäßig durchzuführen und üblich. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass COVID19-Viren längere Zeit, je nach Oberfläche mehrere Stunden bis Tage, überlebensfähig sind. Es muss gerade in der aktuellen Pandemiesituation alles erdenklich Mögliche und Zumutbare unternommen werden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen und Schaden an Gesundheit und Leben zu verhindern. Hierzu gehört auch die standardmäßige Desinfektion von Fahrzeugen, nachdem diese von ande­ren Personen im Rahmen der Reparaturarbeiten berührt wurden.

Selbst die Versicherungswirtschaft geht allgemein bekannt von der grundsätzlichen Erforderlichkeit einer Fahrzeugdesinfektion aus: beispielhaft Allianz: https://azt-automotive.com/de/themen/Fahrzeugdesinfektion; der ZKF führt hierzu u.a. aus: https://www.zkf.de/aktuelles/news-detailseite/fahrzeugdesinfektion-zum-schutz-von-mitarbeitern-und-kunden.

Das Gericht vermag auch der Argumentation der Beklagtenpartei zur angeblich fehlenden Kausa­lität nicht zu folgen: Ohne das streitgegenständliche Unfallgeschehen wäre keine Reparaturbe­dürftigkeit entstanden und demgemäß auch nicht die Notwendigkeit, im Rahmen der lnstandset­zungsmaßnahmen Vorsorge zum Infektionsschutz zu treffen.

Dem oben näher begründeten Gedanken des Werkstattrisikos kann hier auch nicht mit dem Ar­gument entgegengetreten werden, die streitgegenständliche Reparaturrechnung der Werkstatt sei noch nicht beglichen und entfalte deshalb keine lndizwirkung. Maßgebend ist hier im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung wiederum die Perspektive der Klagepartei als Ge­schädigtem. Der Kläger ist im Innenverhältnis zur Reparatur ausführenden Werkstatt einem ent­sprechenden Werklohnanspruch ausgesetzt. Nach Auffassung des angerufenen Gerichts kommt deshalb der Reparaturrechnung selbst dann, wenn diese vom Geschädigten noch nicht bezahlt worden sein sollte, woran angesichts der Fälligkeitsaussage in der Reparaturrechnung selbst im Übrigen Zweifel veranlasst sein dürften, eine lndizwirkung dergestalt zu, dass die in der Rech­nung verlautbarten Aufwendungen tatsächlich den erforderlichen Reparaturaufwand widerspie­ geh1. Der erforderliche Herstellungsaufwand bestimmt sich nämlich nicht allein nach Art und Aus­ maß des Schadens, sondern auch nach den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschä­digten bei der Behebung des eingetretenen Schadens (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Insoweit ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung zu Grunde zu legen: Der Geschädigte, der nach Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der Höhe der erforderlichen Reparaturkosten entsprechend dieses Gutachtens Reparaturauftrag erteilt und sich sodann gemäß der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Reparaturwerkstatt deren Werklohnanspruch ausgesetzt sieht, soll am Risiko, dass die Reparaturkosten dass tatsächlich zur Wiederherstellung erforderliche Maß übersteigen, nur in dem Maße beteiligt werden, in welchem er hierauf tatsächlich Einfluss nehmen kann. Dar­ an anknüpfend kommen dem Geschädigten die Vorteile der subjektbezogenen Schadensbetrach­tung nicht zugute, wenn er auch im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten bei sorgfältiger Prü­fung der Reparaturrechnung hätte erkennen können, dass hier überhöhte Positionen bzw, nicht zur Behebung des unfallbedingten Schadens erforderliche Positionen in Rechnung gestellt wer­ den oder wenn ihn in sonstiger Weise ein Auswahlverschulden hinsichtlich der Reparaturwerk­ statt trifft.

Das Gericht vermag insoweit der Argumentation der Beklagtenpartei, im Hinblick auf die in der Klageerwiderungsschrift vorgetragenen Argumente habe der Geschädigte genügend Anlass ge­habt, an der Richtigkeit der Rechnung zu zweifeln, aus den oben dargestellten Gründen nicht zu folgen.

Der soeben skizzierten subjektbezogenen Schadensbetrachtung liegt eine Risikobewertung zu Gunsten des Geschädigten zugrunde. Diese greift nach Auffassung des erkennenden Gerichts in gleicher Weise, ob nun der Geschädigte die Rechnung bereits beglichen hat oder noch nicht voll­ ständig beglichen hat. Unzweifelhaft ist der Geschädigte auch im vorliegenden Fall dem Werk­lohnanspruch der Reparaturwerkstatt ausgesetzt. Auch, wenn also der Geschädigte die Reparaturrechnung noch nicht vollständig beglichen hat, kann er hierauf in Anspruch genommen und ggf. verklagt werden.

Nichts anderes ergibt sich aus der jüngeren Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten bei noch nicht beglichener Honorarrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 19.7.2016, Az. VI ZR 491/15 sowie jüngst BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674). Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebende Wertung, dass einer unbeglichenen Honorarrechnung im Falle einer Zession keine lndizwirkung zukomme, ist auf die hier im Raum stehende Fallkonstellation nicht übertragbar. Zwar trifft es zu, dass derjenige Aufwand, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist, nicht pauschal durch den in Rechnung gestellten Betrag abgebildet wird, sondern dem tatsächlich zur Befriedigung des Fi­nanzierungsbedarfs des Geschädigten objektiv erforderlichen Geldbetrag zur Durchführung der Reparatur entspricht (BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674,675).

Unter Berücksichtigung der individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten bildet jedoch im hier zu entscheidenden Fall, wenn der Geschädigte nach Maßgabe eines Sachverständigengut­ achtens reparieren lässt, der in der Rechnung verlautbarte Betrag denjenigen Aufwand ab, der aus Sicht des Geschädigten zur Durchführung der Reparatur erforderlich ist. Der Geschädigte hat nämlich aufgrund des zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens einen konkreten An­haltspunkt, in welcher Größenordnung Reparaturkosten voraussichtlich anfallen werden und ist im Vertrauen hierauf eine vertragliche Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns eingegangen.

Nachdem hier zugunsten der Klagepartei folglich das sog. Werkstattrisiko streitet, hat diese An­spruch auf Schadensersatz für den vollen in Rechnung gestellten Betrag, mithin Anspruch auf restlichen Schadensersatz in Höhe der Differenz von 159,92 €.

Jedoch war aufgrund des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots von Amts wegen Zug um Zug eine Verurteilung zur Abtretung etwaiger Ersatzansprüche des Klägers im Zusammenhang mit der Fahrzeuginstandsetzung gegen die Werkstatt auszutenorieren.

II.

Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf§§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf§ 91 ZPO (Teil-Klageabweisung im Übrigen war aufgrund der Zug-um-Zug-Verurteilung auszutenorieren).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

III.

Die Voraussetzungen einer Berufungszulassung waren nicht erfüllt.

Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung unter Berücksichtigung der als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszu­ges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem

Landgericht München 1
Prielmayerstraße 7
80.3 35 München

einzulegen.

Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.

Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten·, dass Berufung eingelegt werde.

Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.

Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem Amtsgericht

München
Pacellistraße 5
80333 München

einzulegen.

Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mit­teilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genann­ten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwalt­liche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.

Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. Eine einfache E-Mail genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.

Das elektronische Dokument muss

  • mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder
  • von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.

Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Per­son versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:

  • auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
  • an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Gerichts.

Wegen der sicheren Übermittlungswege wird auf § 130a Absatz 4 der Zivilprozessordnung verwiesen. Hin­ sichtlich der weiteren Voraussetzungen zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERW) in der jeweils geltenden Fassung sowie auf die Internetseite www.justiz.de verwiesen.

gez.

Richterin

Für die Richtigkeit der Abschrift München, 22.02.2021

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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